Ich verfahre mich gleich zu Beginn sozusagen selbstreflexiv mit dem Zitat eines Autors, dessen Namen ich nicht aussprechen kann. Er ist beziehungsweise war inzwischen Amerikaner und trägt den Nachnamen seiner niederländischen Vorfahren. Dass er auch noch Sciencefiction Autor war, treibt den Ausspracheakt gegen die Wand. Er schrieb: „Im wirklichen Leben, wie in der Oper, werden hoffnungslose Situationen durch Arien nur noch schlimmer.“ (Vonnegut)
Beinahe hoffnungslos ist der direkte Versuch etwas über das zu sagen, was wir sehen. Deswegen werde ich stattdessen über die sprechen, die ich für Nachbarn halte. Ich hoffe, das folgende ist keine Arie und keine Rede geworden, eher ein Labor, eine Sammlung von Abwegen und Hintereingängen, eine zum Teil krude Wilderei.
„Ich kannte ihn noch, wie er aus lauter schönen Tieren bestand. Jetzt ist er zum Schachtelhalm herangewachsen.“ Zungenblüten, Scheibenblüten. Ein Filz aus einreihigen, mehrzelligen Haaren.
In Folge der abnehmenden Lichtintensität krümmen sich die Hüllblätter gegen Abend nach innen. Sporenkapsel ohne Haube. Auch der elegant geschwungene Deckel wird in der Reife abgesprengt. Die Lupe eröffnet uns nicht, wie das Mikroskop, eine neue Welt- sie zeigt bescheiden nur besser, was das Auge schon ahnt. Hinweise sollen gegeben werden, die zu eigenen Streifzügen auffordern. Deshalb tritt das Allgemeine etwas in den Hintergrund (vgl. „Unkraut verdirbt nicht“ KOSMOS- Bibliothek, Nr.278)
Stille muss mehr sein als die Abwesenheit von Geräusch. Etwas bricht sich schleichend um. Oder. Frage. Irre ich mich. Das Gewebe durchstoßen. Eine fortschreitende Perforation, gestanzt an die wetterzugewandte Seite.
Sie steht, Scherenschnitt, Balkontür, den Körper hinterhofwärts, tritt zurück um in der Umarmung nicht größer zu sein, sie fällt mir in den Rücken, damit ich sie tragen kann. Ihre Schultern sind so, als müssten auch sie Grübchen haben. Motten seit Sommer, beim Kleiderschrank fängt es an. Etwas schält sich, ich habe noch lange aus dem Fenster gestarrt.
Saugnäpfe, der manische Blick. Sie sieht beim sehen so aus, als ginge es dabei um etwas anderes, als würde sie im Blick etwas mitführen, einen Vorrat anlegen. Sie spricht nicht, sie macht Aufnahmen. Es ist alles gut, sagt sie, ein Minenfeld, sie fasst mich am Arm. Die Gläser getauscht, weiter trinken, ihren Lippenstift vom Rand, bloß nicht zu Bewusstsein kommen. Vorhin, vor zwei Stunden noch, schob sie imaginäre Krümel mit der Fußspitze auf dem Boden herum. Ich lasse sie stehen, das Glas, den Löffel. Ein Monument auf der Tischkante. Strategie eines Überfalls. Noch einmal Handschuhe fürs Dunkel, die letzten dieses Winters. Die Haut verfärbt sich durch Berührung. Wer schneidet hier wem ins Fleisch und ab wann ist es das eigene. Wasserleichen in rosa, zusammengeballt als Qualle. Warum die nicht begraben werden, frage ich, aber sie kommen ja sowieso wieder. Konturen: Nahsicht: Staubsedimente, dort musst du sein, ich hafte dich an meine Fersen, überstreiche deinen an die Wand gepressten Kopf, dein Haar in meinem Schoß, ich habe eine Woche umgebracht, lege das Messer in den Kühlschrank: noch drei.
Einigermaßen beschleunigt werden wir an ein Ziel geschossen, mit platt gedrücktem Hinterkopf. Zähe Augenaufschläge, die Kilometer raffen. Längen- und Breitengrade rauschen vorbei, das Netz ist nicht nur aus dem Schulatlas, man zählt Linien und endlich wird Zeit sichtbar als das, was weit unter den Füßen liegt. Streckungswachstum, eine Art Angriff, ich wohne nicht, ich übernachte nur. Aber die Zellen erinnern sich, sind vorbereitet als hätte Rückkehr etwas mit Gläser füllen zu tun, mit der Erneuerung eines Depots.
VON SAURIERN KEINE SPUR. Der Hund hat so nasses Fell, dass man ihn schuppen könnte. Am Horizont eine Burg, die aussieht, als würde sie die Sicht auf etwas verstellen, was man eigentlich sehen sollte. Dieses hastige Inventarisieren, das Gerenne durch diese Stadt rührt daher, dass ich mich überzeugen muss. Alles ist noch da (alles ist wieder da), also besteht die Möglichkeit, dass alles noch einmal passiert. Ich sah sie nicht, ich habe sie gerochen. Den Atem als Fahne geschwenkt (das Friedensangebot? Unter welchen Bedingungen?), langsam auch inwendig klamm, ein ganzes Wolkenlexikon: was wir zu bieten hätten- gestrichen, geballt, zerzaust, lauter Strähnen in der Landschaft, Nagelstiche und Infusionen.
„My father wasn’t dead in a traditional way.“ (Guy Maddin) Ungefähr so funktioniert Erinnerung: als Verengung des Gesichtsfelds. Die Totenmaske als Trophäe, als Zeichen eines Triumphs: diese Bedrohung ist gebannt. Eintagsfliegen auf dem Boden, kleine Zeiteinheiten. Der in Folge versetzte Blick, das Ornament als Ökonomie nicht nur der Form sondern auch der Zeit, eine Verähnlichung, nahe dem Verschwinden.
Sogar getauft worden bin ich, aber meine Eltern erinnern sich nicht, meine Mutter sagt, es muss Sommer gewesen sein, denn sie hat einen Kuchen gebacken, mit Beeren aus dem Garten, sie spricht von Schichten, gelb und rot, aber warum überhaupt diese Taufe, wo mein Vater doch ausgetreten und sie sowieso Atheistin, damals, in diesem Staat, sagt sie, war das Untergrund. Aber warum dann katholisch, mein Vater sagt, meine Mutter wüsste das sicher, sie hat bestimmt, schließlich hätte sie auch seine Platten.
Ich kratze die Farbe aus den Augen der Ausblick ist noch fremd, ich schiele. Das Äußere, ein Rummelplatz, fährt um das Eigene als wäre es nicht zu sichern. Adrenalin und eine Müdigkeit, die sich bodennah hinter mir herschleift. Ich laufe übers Wasser, pfeife laut gegen die Angst und jage Möwen am Strand, zur Übung. Abwegig in allen Fällen, Verwirrungszustände, Versuche sich zu verhalten. Versuche ein Verhalten zu imitieren, das zur Absicht passt. Sie sagt, sie habe es nie richtig vergessen können, weil sie es nie richtig gewusst habe. Vorsätzlich heruntergekühlt, man möchte den Anderen schütteln für diesen Irrsinn, schütteln, überhaupt: berühren, versichern: dieser war doch ein Anderer.
Ein Versprechen von Übersicht, Aufsicht, Vogelperspektive. Zeichen, Vorläufer, Konzentrate von Schrift: Übersetzungen. Pläne zur Topographie, zur Konstruktion. Versatzstücke werden benachbart und damit: zu Verhältnissen. Pergament behauptet, dass etwas vorgelegen hat. Der Wunderblock, auch im Dienst der Archäologie. Diese Zeit ist gründlich: geäscherte, geschälte, gebleichte Haut. Gepresst, ausgewaschen, neutralisiert, getrocknet. Spuren und Verdachtsmomente, die sich überlagern. Gesten, Umrisse, Schwebeteilchen. Die Netzhaut ist ein guter Kleber. Und ständig denke ich die Knicke im Papier wären Haare.